Da haben wir's! Wir schreiben, wie wir wollen. 2004-08-11
Ich setze mich in die Zeitmaschine. Der Zug in die Zukunft ist schon lange abgefahren, ich möchte in die andere Richtung. Ich sei ein guter Zeitreisender, meinte mein Fahrlehrer damals. Damals, als wir noch groß- und kleinschreiben durften.
Vor fünfzig Jahren gab es eine aberwitzige Debatte in Deutschland: Das Esszett wurde gerade abgeschafft, da wollten es die Verlage wieder. Politiker stritten sich darum, wie denn nun zu schreiben sei. Und sie kamen zu keiner Entscheidung. Entscheidungslosigkeit, das heißt in der Demokratie, das Alte beibehalten. Das Alte war in diesem Fall das Neue, die neue Rechtschreibung, eingeführt Ende des letzten Jahrtausends, verbindlich ab 2005.
So blieben wir beim Neuen. Ich durfte »daß« mit Doppel-s schreiben, alleinstehende Mütter waren nun »allein stehend« und vereinsamten in der Wüste. Die Anti-Fraktion hatte verloren, Deutschland war reformfreudig und die Politiker freuten sich über ihren Erfolg.
Jetzt, fünfzig Jahre später, reformieren die nächsten. Sie wollen die Kleinschreibung bei Substantiven einführen. Eigennamen und der Satzanfang bleiben groß. Das Esszet fällt weg. Braucht ja jetzt sowieso keiner mehr: Wörterbücher lassen wir einstampfen, denn heute schreibt man, wie's einem gefällt -- also eher phonetisch.
Da mach ich nicht mit! Ich bin der einzige denkende. Andere brauchen ja nicht mehr rechtschreiben. Ich bin ein Überbleibsel der alten Fraktion, ging schon damals bei der Reform nicht mit.
Ich reise zurück in die Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Ich stelle mich quer. Ich bombardiere die Politiker mit Briefen über die Unsinnigkeit einer Reform. Ich erzähle ihnen, was passieren wird, wie die Menschen denken werden, wozu sie imstande sind.
Werden sie mich hören, werden sie mir glauben, werden sie mich verstehen?
Sie werden. Sie müssen. Ein Volk wird sich mir anschließen, um die Sprachkultur zu retten. Wer will schon schreiben wie vor fünfhundert Jahren? Schreiben, wie's einem gefällt, schreiben, ohne nachzudenken, nur für sich.
Ja, die Politiker müssen mir einfach glauben! Wenn ich ihnen Texte der Reformreform zeige, werden sie alles zurücknehmen:
»Main liber her fogel,
hirmit bite ich si herzlich, die rechtshraibreform zuruek zu nemen. Tekste sint unlesbar gewordn. Shuelaer koenen kaine alten tekste mer lesn. Tomas Man kent kainer mer. Goete -- wer wa das?
File gruese,
her mair«